Wie die Grenzwerte für Strahlendosen im Laufe der Zeit verringert wurden

Im Laufe der Zeit wurden die Grenzwerte für die Belastung der Bevölkerung mit ionisierender Strahlung mehrfach verringert. Die Grundlage dazu lieferte die von der Internationalen Kommission für Strahlenschutz (ICRP) akzeptierte These, das das Risiko, an Krebs zu erkranken, auch bei geringen Strahlendosen dieser proportional ist (Linear non treshhold = LNT Hypothese). Diese These kann bis zu den niedrigen Dosen unserer gültigen Grenzwerte nicht überprüft werden, weil eine Vielzahl von unterschiedlichen Einflussfaktoren eine wesentliche größere Wirkung als niedrige Strahlendosen hervorbringen. Außerdem finden beim normalen Zellstoffwechsel eine wesentlich größere Zahl von DNA-Kettenbrüchen statt, als bei den als Grenzwert bezeichneten Strahlensdosen, diese Brüche werden in den normalen Zellstoffwechsel auch repariert. Es ist aus den gleichen Gründen ebenso schwierig, die Annahme einer Verringerung des Krebsrisikos (Hormesis) bei geringen Strahlendosen zu belegen.

Zu einer Zeit, als in vielen Instituten, Kliniken und Betrieben Radioisotopenlaboratorien eingerichtet wurden, waren manche Strahlungsmessgeräte noch nicht so empfindlich und der Strahlenschutz noch nicht so umfassenden organisiert war, durfte man  mit Recht befürchten, dass in Einzelfällen Strahlenquellen und Strahlenwirkungen übersehen würden. Nachdem der Strahlenschutz umfassend organisiert wurde und ein guter Kenntnisstand über die biologische Strahlenwirkung besteht, gibt es für eine extrem restriktive Handhabung von niedrigen Strahlendosen keine Rechtfertigung mehr.

Die nachteiligen Folgen, die mit der Übernahme der LNT - Hypothese in gesetzliche Regelungen in der Zwischenzeit angerichtet wurden, ist beträchtlich. Da der Umgang mit der Größen Dosis, Dosisleistung und Aktivität und deren Maßeinheiten schwierig ist, können Laien, wozu in diesem Fall auch die Mehrzahl der meinungsbildenden Journalisten gehören, sich nur die qualitative Aussage der LNT Hypothese merken: "Jede ionisierende Strahlung ist schädlich". So trägt die ICRP, indem sie an der LNT - Hypothese festhält, auch eine gewisse Mitverantwortung für die daraus resultierenden Folgen. So war es auch zum Bedeutungswandel des Begriffes "verstrahlt" gekommen. Er darf im Ursprungssinn nur auf Personen angewendet werden, die unter der Wirkung von Strahlung zu Tode oder zu schweren Verletzungen gekommen sind, jedoch nicht auf die Verschmutzung ("Kontamination") von Gegenständen und Personen mit Aktivitäten, die mehrere Größenordnungen unter der Aktivität liegt, die eine beobachtbare negative Veränderung des Gesundheitszustandes von Personen bewirkt.

Damit wurde auch für die Behinderung von Transporten wegen geringen Kontaminationen mit der daraus erwachsenden Verschwendung von Steuergeldern einschließlich des Neubaus von ZWILAGs  eine Begründung geliefert. Es erfolgen bei Erkrankungen auch immer wieder Schuldzuweisungen an benachbarte Kernanlagen und -laboratorien. Ich halte es für wenig menschenfreundlich, wenn jemand als Ursache der Erkrankung von Kindern an Leukämie in der Nähe der Elbemündung das KKW Stade hinstellt, weil es hohe Radioaktivität abgegeben und dieses verheimlicht haben soll. Die Erschaffung von "Feindbildern" hat traurige Auswirkungen in der Geschichte der Menschheit gezeigt.

Im Ergebnis der LNT - Hypothese finden wir eine Reihe von Ungereimtheiten. Nach der zu erwartenden neuen SSchV in Deutschland darf ein Werktätiger in einer Einrichtung z.B. in einer Behörde, der seinen Arbeitsplatz in einem Kellergeschoss hat, wo nicht selten erhöhte Aktivitäten an Radon auftreten, eine Jahresdosis von 20mSv erhalten, ohne Strahlenwerktätiger zu sein. Abfälle mit geringer Radioaktivität darf man dagegen aus Kontrollbereichen nur dann abgeben, wenn dabei keine Person einer Jahresdosis von mehr als 10Mikrosievert (drei Größenordnungen weniger) ausgesetzt wird. Als der Schlamm im Gondelteich im großen Garten in Dresden deponiert werden sollte, erklärte das Umweltministerium in Sachsen entsprechend der gültigen Strahlenschutzverordnung einen Grenzwert von 500Bq/g Ra-226 für zutreffend (s. Dresdner Neueste Nachrichten v. 19.06.98). Das städtische Amt hielt dagegen einen (um drei Größenordnungen niedrigeren) Richtwert von 0,2 Bq/g Ra-226 für zutreffend, weil es den Zulauf zum Gondelteich als einen Vorfluter eines ehemaligen Uranbergwerkes betrachtete. Wenn sich die vorgegebenen unterschiedlichen Dosisgrenzwerte für die unterschiedlichen Quellen und Tätigkeiten um Größenordnungen unterscheiden, darf man sich nicht zu sehr wundern, wenn Laien mit Zahlen besonders großzügig umgehen. So erklärt Frau Hillu Schröder in einer MDR Sendung "Riverboot", dass im Gebiet von Tschernobyl jetzt bei 80 % der Neugeborenen Missbildungen auftreten.

Trotzdem sehe ich eine Notwenigkeit, geringste Dosisleistungen und Aktivitäten von Radionukliden zu messen. Nicht etwa weil diese selbst eine Gefahr darstellen, sondern weil sie ausgezeichnete Indikatoren für Undichtheiten, Abweichungen im Betriebsregime und bevorzugte Transportwege in der Bio- und Geosphäre sind, und damit helfen, den Umgang mit Radioaktivität sicher und kostengünstig zu nutzen.

15. Dezember 2005

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