Wie die Riesaer Oberschule den Namen Max Planck
erhielt
Mein Interesse für die Physik wurde in den ersten
Schuljahren geweckt. An vielen Abenden wurde bei uns zu Hause der Küchentisch
abgeräumt und mein Vater begann mit dem Zusammenbau von Rundfunkempfängern oder
den dazu notwendigen Einzelteilen. Diese wurden auf ein Holzbrett geschraubt
und die Verbindungen öfter durch Zusammenschrauben der Drahtösen als durch
Lötverbindungen hergestellt. Es lagen Zeitschriften für den Bastler daneben,
darin waren die Schaltpläne abgebildet, es gab Hinweise für den Bau von
einzelnen Teilen und Beschreibungen über die Wirkungsweise von Widerständen,
Spulen, Kondensatoren und Röhren. Dabei wurde der Aufbau von Atomen, von
Leitern und Isolatoren beschrieben. Ich war fasziniert als ich las, wie die
chemische Elemente aus Atomen bestehen und diese Atome einen positiven Kern
besitzen und die negative Elektronen und ähnlich wie in unser Sonnensystem um
den Kern kreisen.
Ein Unterrichtsbuch meines älterem Bruders weckte mein
Interesse an der Chemie. So war ich in den letzten Kriegs- und ersten
Nachkriegsjahren meist beschäftigt, mit den in einer Drogerie erhältlichen
Chemikalien und Geräten zu experimentieren, alle die Chemie betreffenden
Angaben aus dem Lexikon abzuschreiben und mir alle in der mittleren
Industriestadt Riesa beschaffbaren Bücher über die Chemie zu lesen. Trotz eines
gewissen Interesses an Experimenten fand ich doch das, was ich vom Aufbau der
Atome lesen konnte, faszinierender.
Die Entfernung aller ehemaligen NSDAP-Mitglieder aus dem
Schuldienst brachte uns eine große Zahl wenig ausgebildeter Neulehrer, von
denen die den Krieg überlebten Abiturienten noch die fähigsten waren. Daraus
erwuchs mein Versuch, eine Interessengemeinschaft Chemie zu gründen und dort
mein angelerntes Wissen weiterzugeben. Anfang 1949 waren die meisten meiner
Freunde schon in der FDJ in Kulturgruppen aktiv und sie rieten mir, in die FDJ
und gleichzeitig in den Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands
einzutreten, um so meiner Interessengemeinschaft ein stabiles Fundament zu
geben. Im gleichen Jahr kam auch ein neuer Direktor an die Schule. Ich ahnte
nicht, daß ich als neues FDJ-Mitglied für Funktionen vorgesehen war. Man schickte
mich zu einem Lehrgang als Instrukteur für die FDJ-Wahlen. Wir lernten dort
einen Standardvortrag. Er begann: „Es gibt zwei Lager in der Welt: das
sozialistische Lager mit der siegreichen Sowjetunion, dem sich auf dem Wege zum
Sozialismus befindliche China und den osteuropäischen Volksdemokratien und dem
Imperialistischen Lager mit den USA an der Spitze“. Im zweiten Abschnitt wurde
der "Kampf um Einheit und gerechten Frieden" begründet, und
erläutert, weshalb Deutschland noch eine Nation sei. Ich war als Arbeiterkind
für den Vorsitz der FDJ - Schulgruppenleitung vorgesehen und wurde damit eine
Vertrauensperson unseres Direktors.
Er erzählte mir von dem Interesse des Kreisschulrates, der
Riesaer Oberschule, die bis 1945 Adolf - Hitler - Oberschule hieß, wieder einen
Namen zu geben. Der Direktor laut über Rosa Luxemburg und Otto Buchwitz nacht.
Ich sah den Sinn der Riesaer Oberschule (früher auch Oberrealschule) in einer
bevorzugten naturwissenschaftlichen Bildung und wollte deshalb den Namen eines Naturwissenschaftlers
für die Schule. Außerdem dachte ich daran, wie oft sich in der deutschen
Geschichte die politischen Verhältnisse geändert hatten, was ja bei politisch
begründeten Namen wieder zu Änderungen führen würde.
Ich schlug den Namen Max Planck vor. Er war ein bedeutender
deutscher Physiker und auch als Mensch anerkannt, der sich nicht von den
Nationalsozialisten hatte mißbrauchen lassen. Für den Fall, dass man das
Arbeitsgebiet von Max Planck für zu speziell halten würde, dachte ich als zweite
Möglichkeit an Gottfried Wilhelm Leibniz. Ich hielt auch eine Abstimmung
zwischen beiden Vorschlägen der Zeit der Schülerdemokratie entsprechend für
notwendig. Ich fertigte mit Tusche Porträts meiner beiden Kandidaten als
Wahlplakate an, trug den Schülern der beiden 11. Klassen beide Biographien vor
und begründete, weshalb ich Max Planck den Vorzug gebe. Nachdem auf die Frage
nach weiteren Vorschlägen kein weiterer Name genannt wurde, brachte ich sie zur
Abstimmung. Nach meiner Erinnerung erhielt Leibniz mehr Stimmen als Planck. Ich
teilte das Abstimmungsergebnis unseren Direktor mit, er gab es dem
Kreisschulrat weiter und nach einigen Wochen kam die Mitteilung, dass man sich
für Max - Planck entschieden habe, da es in Sachsen schon mehrere Leibniz -
Oberschulen gibt und man sich bei der Festlegung des Schulnamens nicht
unbedingt an das Abstimmungsergebnis der Schüler gebunden fühle. Der
Namensvorschlag Max Planck ist dann noch einmal zur Abstimmung in einer
Schülervollversammlung vorgelegt worden.
Ich hätte nicht zu denken gewagt, dass die beiden weiteren
in der Zwischenzeit gegründeten Riesaer Gymnasien mit Werner Heisenberg und
Manfred von Ardenne ebenfalls die Namen von Naturwissenschaftlern tragen
würden.
S. Niese in: Festschrift zum 100 jährigem Schuljubiläum (1902
– 2002) - Vom Realprogrymnasium zum Max-Planck-Gymnasium Riesa, S. 53 - 54